Günter Buchholz – Sind “Gender Studies” Wissenschaft

Ulrich Kutschera - Das Gender-Paradoxon

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Sind „Gender Studies“ Wissenschaft?

Professor Günter Buchholz

Die „Gender Studies“ haben sich seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts als Fortführung der „Frauenforschung“ der 70er Jahre entwickelt. Sie kreisen um den zentralen Begriff des „sozialen Geschlechts“, aber dieser Begriff wird weder biologisch im allgemeinen, noch sexualwissen-schaftlich im besonderen noch soziologisch im Sinne der Rollentheorie gefasst.

Das ist ein erstaunlicher Befund, weil das Nächstliegende und das eigentlich zu Erwartende hier gerade nicht der Fall ist.

Meine These dazu lautet, dass:

“Gender“ (…) als angeblich sozialwissenschaftlicher Begriff nur dann Sinn (macht), wenn der verschwiegene Bezug auf die Homoerotik berücksichtigt wird; dieser Bezug ist in „Gender Mainstreaming“ enthalten, und das war so auch intendiert. Die Vorgeschichte und die Geschichte der Weltfrauenkonferenz von Beijing (1995) zeigt genau das. Man sagt „Gender“ oder „Diversity“ und man meint „Homoerotik“, die auf diese Art und Weise neutral angesprochen und zur Geltung gebracht werden kann. Nur das ist die sprachpolitische Funktion des Gender-Begriffs, ebenso wie die des Diversity-Begriffs. (1)

Die Gender Studies können insgesamt als politischer Versuch gedeutet werden, insbesondere die minoritäre weibliche Homoerotik, den Lesbianismus also, aufzuwerten und im gesellschaftlichen Bewusstsein zu normalisieren, und zugleich alles zu tun, um die Heteronormalität zu zersetzen, speziell in der Gestalt der heteronormalen Familie, aber auch in der der Männlichkeit in ihren verschiedenen Facetten, darunter speziell der der Väterlichkeit. Daher wird der Familienbegriff so umgedeutet, dass er nicht-heteronormale Gruppenbildungen einschließt (Diversität). Die Bedeutung der biologischen Fortpflanzung wird dabei bagatellisiert oder verleugnet, oder sie wird medizintechnisch oder juristisch ermöglicht, um Normalität fingieren zu können.

Die Gender Studies sind erst nach jahrzehntelanger Selbstisolation zum Thema der Kritik geworden, weil die Gender Studies zunehmend in andere Disziplinen migrieren, wofür Stellen zu schaffen sind, und diese Kritik hat nun apologetische Reaktionen hervorgerufen, die in Artikeln des „Tagesspiegels“ in Berlin veröffentlicht wurden und werden. Neben der wissenschaftlichen Auseinandersetzung geht es somit unvermeidlich um materielle Interessen.

1 Kritische Anmerkungen zu Ilse Lenz

Ilse Lenz hat am 1. September 2015 unter der Überschrift „Keine Angst vorm bösen Gender“ einen Artikel im Tagesspiegel veröffentlicht, der polemisch abwehrend auf eine vermeintlich polemische Kritik an den sogenannten Gender Studies eingeht:

Man wundert sich schon über selbst ernannte wissenschaftsferne (Hass-)Prediger, die beliebig festlegen wollen, was „unwissenschaftlich“ sein soll. Wie steht es angesichts der massiven Abwertungs- und Abschaffungskampagne und besonders der Bedrohung von Forscher_innen heute um die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Forschung in der Bundesrepublik? (2)

Und sie behauptet (ebd.):

Selbstverständlich ist Kritik an der Geschlechterforschung wichtig und willkommen, aber sie sollte auf ernsthafter inhaltlicher Auseinandersetzung beruhen.

Diese Behauptung ist nicht mehr als eine Schutzbehauptung, denn sie steht im Widerspruch zu den Tatsachen. Dafür gibt es einen aktuellen Beweis, nämlich das Verhalten der Philipps-Universität Marburg, auf das Professor Kutschera mit einer Absage reagierte. (3)

Und was die Prüfung der Wissenschaftlichkeit der Gender Studies angeht, behauptet sie:

Diese haben die deutschen Wissenschaftsinstitutionen wie die Universitäten, die relevanten Fächer und die DFG vollzogen. Im Ergebnis haben sie die Geschlechterforschung nach langen Debatten und einer Reihe von Evaluierungen aufgenommen und institutionalisiert.

Wenn das so sein sollte, dann sollten die Wissenschaftsinstitutionen doch die entsprechenden Prüfverfahren und -inhalte publizieren, so dass Dritte erkennen können, wer da wann was anhand welcher Kriterien geprüft und wie bewertet hat. Ich habe zum Beispiel stichprobenartig und vergeblich versucht, an solche Informationen zu gelangen, um sie vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen als akkreditierender Hochschullehrer einschätzen und bewerten zu können.

Das stimmt natürlich nachdenklich. Und meine Auseinandersetzung mit und meine Kritik der Forschungsevaluation der Gender Studies in Niedersachsen (4) hat bei mir Zweifel daran genährt, dass hier eine wissenschaftliche Forschung überhaupt stattgefunden hat. Denn es wurden keinerlei Forschungsergebnisse benannt, und also konnten keine gewürdigt werden, und das in einer Forschungsevaluation, aufgrund derer im Nachgang weitere finanzielle Mittel bewilligt wurden.

Ein derart schockierendes Ergebnis wirft die Frage auf, ob es Akkreditierungen von Studiengängen und Evaluierungen von Studiengängen und Forschungsleistungen für Gender Studies überhaupt jemals gegeben hat. Es wäre Sache der Wissenschaftsinstitutionen, diese Zweifel auszuräumen und die offenen Fragen zu beantworten.

Weiter schreibt Frau Lenz:

Die Genderforschung stellt nicht infrage, dass es „die Biologie“ gibt und sie eine wichtige Bedeutung hat. Aber sie hat beobachtet, wie unterschiedlich biologische Zusammenhänge kulturell interpretiert und gestaltet werden.

Dieses Zitat dient offensichtlich nur dazu, die Gender Studies gegen Kritik seitens der Biologie zu immunisieren; denn andernfalls hätte konkret benannt werden können, in welcher Art und Weise in den Gender Studies an die biologische Wissenschaft angeknüpft wird. In diesem Fall sollte erwartet werden, dass der derzeitige wissenschaftliche state of the art der Biologie und der Sexualwissenschaft als selbstverständliche Voraussetzung erkennbar aufgenommen würde, um daran anzuschließen. Genau das ist aber nicht der Fall, weil der biowissenschaftliche state of the art vermutlich gar nicht bekannt ist, obwohl ständig betont wird, man forsche interdisziplinär.

Stattdessen wird der allerdings altbekannte Sachverhalt stark hervorgehoben, dass es Entwicklungen in der Menschheitsgeschichte gibt, die auch die Lebensweise der Menschen verändern und mit ihr die Art und Weise der Kooperation zwischen den beiden Geschlechtern.

Die Geschlechterforschung hat die weltweiten Variationen von Gender und die damit verbundenen Machtverhältnisse untersucht und sie hat daraus geschlussfolgert: Im Zusammenhang mit Geschlecht zeigen sich ganz unterschiedliche soziale Strukturen, es wird also: sozial gestaltet oder konstruiert.

Aber: Was meint hier „Gender“, und was sind „Variationen von Gender“?

Die Fehlinterpretation liegt hier im übrigen offen zutage, wenn gesagt wird: „es wird also: sozial gestaltet oder konstruiert.“ Eben nicht. Was hier eingeschmuggelt wird, das ist das Dogma des Sozialkonstruktivismus. Soziale Beziehungen werden keineswegs zweckrational „konstruiert“, sondern sie entwickeln, differenzieren und verändern sich allmählich als eine sich jeweils bewährende oder nicht bewährende gesellschaftliche Praxis. Der Philosoph Alexander Ulfig hat den Sozialkonstruktivismus einer Kritik unterzogen. (5)

Dabei ist die Geschlechterforschung grundlegend, um Gesellschaften und besonders ihren gegenwärtigen Wandel zu verstehen. Seit jeher werden über Geschlecht Macht, Chancen und Ressourcen verteilt – Geschlecht bildet also zum einen eine Strukturkategorie für soziale Ungleichheit.

Zum anderen wird diese Ungleichheit oft mit der Geschlechterdifferenz begründet. Die Genderforschung trennt diese Fragen nach Geschlechterungleichheit und -unterscheidung analytisch, auch wenn sie zusammenhängen.

Hier sind wir nun in der Soziologie und stoßen sofort auf die dogmatische Behauptung, dass „über Geschlecht Macht, Chancen und Ressourcen verteilt“ würden, dass also „Geschlecht zum einen eine Strukturkategorie für soziale Ungleichheit“ bildet. „Zum anderen“, so wird behauptet, „wird diese Ungleichheit oft mit der Geschlechterdifferenz begründet.“

„Geschlecht“ ist hier eine rein soziale und zugleich zentrale Kategorie, was aber wieder nicht begründet, sondern dogmatisch gesetzt wird.

Dieser kulturalistische Geschlechtsbegriff ist das feministische Axiom schlechthin und daher der Ausgangspunkt aller deduktiv-dogmatischen oder deduktiv-normativen Interpretationen, die daraus folgen.

In der Geschichte der Soziologie sind es jedoch ganz andere Kategorien, die soziale Unterschiede begründen, Klassen-, oder Standes- oder Schichtunterschiede vor allem, ebenso sozioökonomische Kategorien wie die der Vermögensverteilung, und diese Kategorien schließen sämtlich beide Geschlechter ein, sind also übergeordnet.

Mit Blick auf die Kritik an der Wissenschaftlichkeit der Gender Studies und mit der ebenso starken wie massiv anzuzweifelnden Behauptung:

Gender ist ein innovativer kritischer Begriff zum Forschen und (Hinter-)Fragen mit offenem Ausgang,

verweist Ilse Lenz auf ein umfangreiches Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Theorie, Methoden, Empirie, (6) in dem angeblich auch die wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Gender Studies dargelegt sein sollen. Es handelt sich jedoch um ein Sammelwerk, zu dem zahlreiche Autorinnen kürzere Beiträge zu unterschiedlichsten Themen abgeliefert haben.

Bevor ich darauf näher eingehe, sei, mit Blick auf die Überschrift des Lenz-Artikels noch angemerkt, dass „Gender“ nicht „böse“ ist und dass auch niemand „Angst“ davor hat. Wenn Gender als biowissenschaftliche Kategorie aufgefaßt wird, dann gilt, dass sie „die Ausbildung männlicher bzw. weiblicher geschlechtsreifer Individuen bei Tieren und Pflanzen im Verlauf der Entwicklung, bezogen auf die Population“ bezeichnet. (7)

Wird Gender jedoch als nicht-biowissenschaftlicher, sondern kulturalistischer Begriff verwendet, wie das in den Gender Studies der Fall ist, dann ist Gender schlicht ein überflüssiger und irreführender Begriff, und zwar auch in soziologischer Hinsicht (siehe oben).

2 Kritische Anmerkungen zur feministischen Sicht der Wissenschaftstheorie

2.1 Zur Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie

Die Begründung und Entfaltung der philosophischen Erkenntnistheorie war der erste Schritt der neuzeitlichen Philosophie, durch den sie sich konstituierte, denn es ging allererst um den Nachweis, dass alternativ zum tradierten irrational-religiösen, mit der aristotelischen Philosophie abgestützten   christlich-katholischen Weltbild, das zur verbindlichen Weltdeutung verwendet wurde, die bei Strafe, so wie sie Giordano Bruno traf, zweifelsfrei zu glauben war, dass also dazu eine Alternative bestand, die auf der Vernunft beruhte.

Als Mathematiker lag dieser Gedanke einem Mann wie René Descartes nahe, und daher ist sein kritisch-rationalistisches Werk Ausgangspunkt des modernen Rationalismus.

Demgegenüber entwickelte sich im dialogischen Widerspruch hierzu eine auf menschlicher Erfahrung beruhende Sichtweise, die unter dem Begriff des Empirismus zusammengefaßt wird, repräsentiert insbesondere durch das Werk von David Hume. (8)

In Kants erkenntniskritischem Werk wurden Rationalismus und Empirismus dann derart  verbunden, dass das rationale Denken (Logik, Mathematik) den Forschungs- und Erkenntnisprozeß gleichsam führt, dass aber die Erfahrung (Beobachtung, Experiment, Messung) über die Gültigkeit des Denkens entscheidet. Und um ein Bild zu gebrauchen: Es ist wie beim argentinischen Tango, der dem Tanzpaar nur gemeinsam gelingt.

Daraus hat sich jene Wechselwirkung zwischen Rationalität und Erfahrung (als Messung) entwickelt, die die modernen Realwissenschaften methodisch begründet; die Messung der von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie theoretisch vorhergesagten Gravitationswellen ist ein aktuelles Beispiel hierfür.
Diese Wechselbeziehung ist von der modernen Wissenschaftstheorie im einzelnen ausgearbeitet worden. Es geht allgemein um die Frage, wie gültiges Wissen in Realwissenschaften generiert werden kann, wie also vorgegangen werden muss, um den Übergang vom Nicht-Wissen zum Wissen erfolgreich zu bewerkstelligen: mit Hilfe einer Methode nämlich.

Nun gibt es neben den Gegenstandsbereichen der Realwissenschaften, sei es Natur, sei es die Gesellschaft, noch die Menschheitskultur, und bei dieser geht es nicht um Erklärung realer Phänomene, z. B. der beobachtbaren Planetenbewegungen, sondern, ursprünglich jedenfalls, um die theologische Deutung der christlichen Bibel, also des Alten und des Neuen Testaments, und in methodisch analoger Art und Weise um die Deutung oder Interpretation der Werke der Literatur, der Künste und der menschlichen Kultur überhaupt. Was bedeuten die Bibeltexte? Welcher Bibeltext? In welcher Sprache: griechisch, lateinisch? Welche Übersetzungsschwierigkeiten gibt es? Etc. …

Es geht hier der Sache nach um Verstehen, nicht um Erklären. Umgekehrt geht es in den Realwissenschaften um Erklären, nicht um Verstehen, und deshalb ist und bleibt die Frage nach dem „Sinn“ oder nach dem „Warum?“ eine realwissenschaftlich sinnlose Frage.

Der Kreationismus ist ein Beispiel dafür, was dabei herauskommt, wenn eine a priori theologisch beantwortete Sinnfrage mit einer realwissenschaftlichen Erforschung des biologischen Evolutionsprozesses unzulässig vermischt wird, indem erstere letztere dominiert: „intelligent design“ wird dann behauptet, weil man das glauben möchte. (9)

So ergeben sich Interpretationen, für die ein eindeutiges Gültigkeitskriterium anders als in den Realwissenschaften weder existiert noch überhaupt existieren kann. Daher ist ein Ergebnis nur möglich durch eine strittige Annäherung mit möglichem, aber nie gesichertem Konsens, der selbst dann, wenn er bestehen sollte, weiter unter einem prinzipiellen Vorbehalt steht.

Daher können kulturwissenschaftliche Ergebnisse argumentativ prinzipiell nicht gegen Ergebnisse realwissenschaftlicher Forschung gewendet werden, denn letztere sind empirisch gültig, und sie sind somit objektives Wissen, erstere hingegen sind nie mehr als eine bloße Deutung, also ein bestenfalls gut und sorgfältig begründetes und intersubjektiv diskutiertes subjektives Wissen. (10)

Der grundlegende Fehler seitens der „Gender Studies“ besteht darin, dass deren bloß vermeintlich gesichertes Wissen, dessen Gültigkeit lediglich angenommen und unterstellt wird, das aber tatsächlich weiter nichts ist als eine ideologisch verallgemeinerte Deutung der nicht-biologischen, kulturalistischen Kategorie „Geschlecht“, gegen die Ergebnisse realwissenschaftlicher, evolutionsbiologischer Forschung gewendet wird. Das aber ist prinzipiell falsch und unmöglich: Keinerlei Deutung kann gegen realwissenschaftliche Erkenntnisse geltend gemacht werden.

Das gilt somit auch für sogenannte Offenbarungen oder „Heilige Texte“ aller Art.

Alle Bücher sind von Menschen geschrieben worden.

2.2 Zur Kritik der feministischen Wissenschaftkritik

In dem von Ilse Lenz benannten Handbuch findet sich unter dem Titel „Feministische Wissenschaftskritik und Epistemologie: Voraussetzungen, Positionen, Perspektiven“ ein Aufsatz von Mona Singer, auf den hier exemplarisch Bezug genommen werden soll; siehe (6).

Auffällig ist, dass darin weder auf die Erkenntnistheorie ab Descartes noch auf die anschließende Wissenschaftstheorie Bezug genommen wird, und es fehlt jegliche wissenschaftstheoretisch-methodische Begründung der „Gender Studies“. Statt kritisch und konkret an diesen praktisch bewährten philosophischen Theoriestrang anzuknüpfen, wird dieser komplett negiert, indem ein freilich fingierter überlegener feministischer Metastandpunkt eingenommen wird, von dem eine feministische Wissenschaftskritik hergeleitet wird, die sich im Ergebnis als eine nihilistische erweist.

„Paradigmatisch für feministische Epistemologien ist die These der Situiertheit des Wissens. Sandra Harding und Donna Haraway haben dafür den Begriff ‘situated knowledges’ in die feministische Diskussion eingeführt.“ (11) Diese läuft auf eine Subjektivierung der Erkenntnis hinaus und verkennt vollständig, in welch systematischer und strenger Art und Weise in den Realwissenschaften die logische und empirische Gültigkeit von Erkenntnissen intersubjektiv hart geprüft wird. Karl Raimund Popper hat hierauf zu Recht größten Wert gelegt, und man kommt seinen normativ-methodischen Überlegungen dazu, wie wissenschaftlich vorgegangen werden sollte, weder dadurch bei, dass man, wie Thomas S. Kuhn, irrig ein IST gegen ein SOLL ausspielt, (12) und ebenso wenig dadurch, dass das abwertend gemeinte Beiwort „positivistisch“ beifügt wird, und zwar ohne selbst etwas Besseres anzubieten zu haben.

Wissenschaft ist zwar ein sozialer Prozess, aber um überhaupt zu gültigen Erkenntnissen gelangen zu können, muss gerade deshalb der wissenschaftliche logisch-empirische Begründungszusammenhang  von dem gesellschaftlichen Entstehungs- wie von dem gesellschaftlichen Verwendungszusammenhang so gut wie eben möglich getrennt werden. Im Feminismus wird dieser methodische Leitgedanke bewusst mißachtet, weil es nicht um Erkenntnis sondern um politische Wirkungen geht, und insoweit ist das durchaus konsequent.

In der „feministischen Standpunkttheorie“ wird die Fiktion der Existenz eines feministischen Metastandpunkts vertreten, der angeblich die Überlegenheit feministischen Denkens ermöglichen soll. Es handelt sich hier selbstverständlich gar nicht um eine Theorie, sondern um weiter nichts als um bloße Behauptungen, die sich einer missverstandenen Anleihe bei Lukacs verdanken. Nun gibt es in der marxistischen Theorie zwar in ganz bestimmten und im einzelnen aufzuzeigenden Fällen die Möglichkeit, dass die Klassenlage der Bourgeoisie sich für diese als soziale Erkenntnisschranke erweist, aber „die Frauen“ sind kein Äquivalent des „Proletariats“, sie sind keine soziale Klasse. Soziale Klassen setzen sich vielmehr aus beiden Geschlechtern und den von ihnen gegründeten Familien und den Nachkommen zusammen; nur in der antiken wie in der modernen Sklaverei war das kooperative Zusammenleben der beiden Geschlechter gewaltsam eingeschränkt. (13)

Es ist daher konsequent, wenn auch die Forderung nach Wertfreiheit (Max Weber) verworfen wird. Mit dieser verhält es sich jedoch wie mit der nötigen Abgrenzung des wissenschaftlichen Begründungszusammenhangs: beide Forderungen sollen im Rahmen der menschlichen Möglichkeiten absichern, dass der methodisch geleitete Erkenntnisprozess von diesbezüglich externen Einflüssen und Störungen möglichst frei gehalten wird, um ihn überhaupt zu ermöglichen und um Irrtümer und Verzerrungen weitestgehend zu vermeiden.

Mit der Rezeption der postmodernen Philosophie, dem neuen Irrationalismus, gibt die sogenannte feministische Epistemologie schließlich alles auf, was von Descartes bis Popper und darüber hinaus erkenntnis- und wissenschaftstheoretisch gedacht und gefordert und erfolgreich praktiziert worden ist.
„Für postmoderne Theoretikerinnen sind die „großen Erzählungen“ des Fortschritts, der Vernunft und der Wahrheit obsolet geworden. Radikal in Frage gestellt wird, dass Wissenschaft, Fortschritt und Emanzipation gleichsam selbstverständliche Verbündete sind. Dagegen wir gesetzt, dass die eigentlichen Verbündeten nicht Erkenntnis und Wahrheit, sondern Wissen und Macht sind.

Grob zusammengefaßt wird von den folgenden Voraussetzungen ausgegangen: alles, was wir haben können, sind Konstruktionen; jedes wissenschaftliche Wissen ist eine Konstruktion; Fakten sind ideologisch geladene Tatsachen (im buchstäblichen Sinn); wissenschaftliche Erkenntnis ist prinzipiell mit Macht verbunden und nicht mit Wahrheit.

Das feministische Paradigma des „situierten Wissens“ wird vorausgesetzt und radikalisiert: Wir sprechen immer von einem bestimmten Standpunkt aus, Wissensansprüche sind verwoben in kulturelle, soziale, ökonomische und perspektivische Beschränktheit, Kontingenz und Instabilität, Ambiguität und prinzipielle Bestreitbarkeit aller Wissensansprüche (…).

Mit dieser Kritik einher geht die Vorstellung, dass das Subjekt des Wissens in einem Netz von Sprache und Bedeutungen, von Unbewusstem und Macht gefangen ist. Kritisiert wird die moderne Subjektkonzeption, die mit der Vorstellung eines rationalen, autonomen, psychisch untergrundlosen, physisch von Kontingenzproblemen entfesselten Subjekts verbunden wird.“ (14)

Eine solche nur vermeintlich gegebene, überlegene feministische  Metaposition, ein gleichsam extramundaner, quasi-göttlicher feministischer Standort, von dem her die gesamte Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie der Moderne verworfen werden könne, und zwar zugunsten einer machtzentrierten Beliebigkeit im philosophischen Geiste von Foucault und Nietzsche, eine solche völlig irrationale Position existiert real nicht. Es handelt sich um weiter nichts als um eine völlig unbegründete Anmaßung. Der tatsächliche Wissenschaftsprozess, dessen Bewährung eine praktische und daher gültige ist, bleibt dagegen vollständig unverstanden und unberührt. (15)

Es zeigen sich hier die Ergebnisse eines ins Extrem getriebenen, destruktiven wissenschafts-feindlichen Relativismus, der nicht fähig ist, eine substanzielle Kritik zu üben, geschweige denn, wissenschaftstheoretische und methodische Alternativen zu entwickeln. Nachdem alles, einschließlich  der Vernunft und des denkenden Subjekts dekonstruiert  bzw. zersetzt worden  ist, bleiben nur postmoderne Beliebigkeit und Willkür als Ausdruck feministischer Macht.


Anmerkungen

  1.  Gender-Diskurs: Warum der Gender-Begriff überflüssig und irreführend ist
    Frankfurter Erklärung: Pornografisierung der Schule
  2. http://www.tagesspiegel.de/wissen/serie-gender-in-der-forschung-1-keine-angst-vorm-boesen-gender/12258504-all.html
  3. Frankfurter Erklärung: Silke Lorch Göllner – Frauenbeauftragte der Universität Marburg
    Gender-Diskurs: Artikelhinweise – Ulrich Kutschera und die Universität Marburg
    Gender-Diskurs: Kurzrezension Ulrich Kutschera – Das Gender-Paradoxon
  4. http://serwiss.bib.hs-hannover.de/frontdoor/index/index/docId/405
  5. Dr. Alexander Ulfig: Der Mythos von der sozialen Konstruktion
  6. (6) Singer, Mona, “Feministische Wissenschaftskritik und Epistemologie: Voraussetzungen, Positionen, Perspektiven”, in: Becker, Ruth/Kortendieck, Beate (Hrsg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Theorie, Methoden, Empirie, 2. Aufl., Wiesbaden 2008, S, 285 – 294.
  7. (7) Kutschera, Ulrich: Das Gender Paradoxon, Berlin 2016, S. 425; sowie:
    Gender-Diskurs: Warum der Gender-Begriff überflüssig und irreführend ist
    Cuncti: Diversity Management – Wem nützt das?
  8. Descartes, René, Abhandlung über die Methode, die Vernunft richtig zu gebrauchen und Meditation über die Grundlagen der Philosophie, Hrsg. Schweizer, Frank, Wiesbaden 2006; Kreimendahl, Lothar, Hauptwerke der Philosophie – Rationalismus und Empirismus, Stuttgart 1994
  9. Kutschera, Ulrich, Design-Fehler in der Natur, Münster 2013, siehe: Spektrum: Rezension – Designfehler in der Natur
  10. Cuncti: Deutung statt Erklärung
  11. Singer, Mona, in: Becker/Kortendieck, Handbuch (6), S. 286 f.
  12. Singer, Mona, in: Becker/Kortendieck, Handbuch (6), vgl. S. 287 f.
    Kuhn, Thomas S., Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt/Main 1976
  13. Singer, Mona, in: Becker/Kortendieck, Handbuch (6), S. 286 f.; 287 f.
  14. Singer, Mona, in: Becker/Kortendieck, Handbuch (6), S. 289 f.
  15. Hierzu vertiefend:
    Dr. Alexander Ulfig: Nihilismus postmoderne und skrupellose Machtpolitik
    Dr. Alexander Ulfig: Weiblicher Narzissmus, Männerhass und Frauenpolitik
    Cuncti: Braucht unsere Gesellschaft Gender-Studies?

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5 thoughts on “Günter Buchholz – Sind “Gender Studies” Wissenschaft”
  1. […] Die Theorien der Gender-Studies sind derartig haarsträubend falsch und irreal, dass jeder, der nicht feministisch ideologisiert ist, die Nicht-Wissenschaftlichkeit der Gender-Studies auf Anhieb durchschaut. Hadmut Danisch und Michael Klein/Heike Diefenbach haben hat sich immer wieder zur Wissenschaftlichkeit der nicht-wissenschaftlichen Disziplin der Geschlechterforschung geäußert. Bei Wikimannia gibt es eine entsprechende Übersicht. Auch Professor Dr. Günter Buchholz hat sich als Wissenschaftler zum Thema geäußert: Sind „Gender Studies“ Wissenschaft? […]

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